Herausgabe der Krankengeschichte - ein Entscheid mit Folgen

Nach dem Gesundheitsgesetz sind Fachpersonen im Gesundheitswesen verpflichtet, über jede Patientin und jeden Patienten eine Dokumentation anzulegen. Im Kern enthält diese Dokumentation Angaben über die diagnostischen Abklärungen und Untersuchungen, über die therapeutischen und pflegerischen Massnahmen sowie über den Inhalt und den Ablauf der Aufklärung über die zuvor erwähnten Punkte. Damit erfüllt die Dokumentation primär zwei Funktionen: Zum einen dient sie der behandelnden Medizinalperson (dies umfasst meistens auch noch die Pflegefachpersonen und Physiotherapeutinnen und –therapeuten o.ä.) als materialisiertes Gedächtnis, zum anderen kommt ihr Beweisfunktion in einem allfälligen Haftungsprozess zu.

In der Praxis kamen Spitäler dem Wunsch nach der Herausgabe der Originalkrankengeschichte zum Teil nach, wenn die Patientinnen und Patienten vorgängig einen Haftungsverzicht erklärt hatten. Aus rechtlicher Sicht ist es allerdings fraglich, ob ein Anspruch auf Herausgabe der Originalkrankengeschichte besteht und ob eine Haftungsverzichtserklärung vor Gericht überhaupt standhalten würde.
Die erste Frage ist schnell beantwortet. Das kantonale Gesundheitsgesetz sieht keinen Herausgabeanspruch vor. Die Patientinnen und Patienten haben hingegen das Recht, jederzeit Kopien ihrer Krankengeschichte zu erhalten. Nur weil die Patientinnen und Patienten jedoch keinen Herausgabeanspruch haben, bedeutet jedoch noch nicht, dass das Spital ihnen die Krankengeschichte nicht aushändigen darf. Es ist also noch die zweite Frage zu beantworten, ob eine in solchen Situationen häufig verlangte Haftungsverzichtserklärung überhaupt vor Gericht standhalten würde.

Soweit Ärzte und Ärztinnen in einem öffentlichen Spital tätig sind, kommt im Falle eines Schadens in aller Regel das kantonale Haftungsgesetz zur Anwendung. Dieses äussert sich jedoch nicht zur Zulässigkeit eines Haftungsverzichts, womit für die Beantwortung der noch offenen Frage auf die Bestimmungen des Privatrechts geschielt werden muss. Im Rechtsverhältnis zwischen Privaten gilt es als unzulässig, im Voraus Vereinbarungen abzuschliessen, mit denen die Haftung für grobe Fahrlässigkeit oder gar Verschulden ausgeschlossen werden soll. Nach richterlichem Ermessen kann sogar der Verzicht auf die Haftung für leichte Fahrlässigkeit als nichtig erklärt werden, wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betrieb eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes erfolgt, was bei der Ausübung des Arztberufs nach vorherrschender Rechtsauffassung der Fall ist. Gleiches gilt für den Betrieb eines Spitals. Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, die Haftung für Körperschäden könne generell weder ausgeschlossen noch beschränkt werden, da es sich bei der körperlichen Unversehrtheit um ein derart zentrales Rechtsgut handle, dass jegliche Freizeichnung als sittenwidrig und damit als nichtig zu beurteilen sei. Wenn also schon im Bereich der Privatautonomie von der Unzulässigkeit einer Haftungsverzichtserklärung für Körperschäden ausgegangen werden muss, so erscheint es als äusserst stossend, einem öffentlichen Organ ein derartiges Verhalten zuzugestehen.

Ergebnis

Die Patienten besitzen keinen Rechtsanspruch auf Herausgabe ihrer Originalkrankengeschichte, wohl aber ein Recht auf Kopien. Den Spitälern ist auch abzuraten, die Originalkrankengeschichte auszuhändigen, wenn die Patienten vorgängig einen Haftungsverzicht erklärt haben, weil es äusserst ungewiss ist, ob ein solcher Haftungsverzicht vor Gericht anerkannt würde. Ein Spital, das die Originalkrankengeschichte im Vertrauen auf die Gültigkeit einer Haftungsverzichtserklärung herausgegeben hat, läuft Gefahr, in einem Haftungsprozess mangels Beweismittel ohne adäquate Verteidigungsmöglichkeit dazustehen.

Anmerkung

Dieser Fall ist mit Quellennachweisen im Tätigkeitsbericht 2012 publiziert (dort Fall 2, S. 35). Tätigkeitsbericht 2012

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